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Nein. Eines der Argumente, die für meine Absage auf der Hand liegen, ist das Verfallsdatum dieser Endgeräte und die damit verbundenen Kosten. Zwar stehen dem Verbraucher mittlerweile grundsätzlich zwei Jahre nach Übergabe eines digitalen Gutes durch entsprechende Händler und Vertragsabschlüsse umfassendere Gewährleistungsrechte zu, doch wenn Digitalisierung überhaupt Sinn macht, dann doch nur durch eine ständige Aktualisierung. Soft- und Hardware sollten immer up to date sein, damit die Schüler die Chancen und Gefahren der Digitalisierung begreifen können. Wenn die Endgeräte jedoch den jeweils aktuellen Standards nicht mehr entsprechen, landen sie natürlich auf dem Müll und damit mittelbar auch das Geld der Steuerzahler. Die einzigen, die sich darüber freuen können, sind die Unternehmen der IT-Branche, deren Lobby-Arbeit mittlerweile an die intensiv betriebene Abschaffung der stinknormalen Glühbirnen und anderes erinnern lässt.
Entscheidend ist aber die Frage nach dem pädagogischen Nutzen: Was neu ist, muss nicht automatisch sinnvoll sein. Andere Länder sind heute zu neuen Erkenntnissen gekommen und haben sich für andere Wege im schulischen Alltag entschieden. Skandinavische Länder wie Dänemark und Schweden erteilten jüngst der übermäßigen Digitalisierung eine Absage. Dieser Kehrtwende beispielsweise in den schwedischen Klassenzimmern war vor fünf Jahren eine nationale Richtlinie der Schulbehörden vorausgegangen, wonach selbst Grundschüler nahezu ausschließlich digital unterrichtet werden sollten. Die Richtlinie empfahl, vor allem digitale Lehrmittel wie Laptops oder Apps einzusetzen. In mehreren evaluierenden Studien stellte man anschließend fest, dass Lesegeschwindigkeit, der Wortschatz und das Leseverständnis bei den Schülern signifikant zurückgingen. Die schwedische Schulministerin Lotta Edholm forderte darauf eine verstärkte Leseförderung ein und man machte allein letztes Jahr 60 Millionen Euro locker, um Bücher wieder in den Unterricht zurückzuholen.
In Dänemark, das ebenfalls bezüglich der „Modernisierung“ des Unterrichts vor allem in Deutschland als vorbildlich wahrgenommen wurde, lief es vor kurzem ähnlich. Ja, tatsächlich, ausgerechnet der sozialdemokratische Minister für Kinder und Bildung, Mattias Tesfaye, forderte „das Klassenzimmer als Bildungsraum zurückerobern“. In der Bundesrepublik in ihrem aktuellen Zustand eine völlig undenkbare Anregung aus der roten Ecke. Jedenfalls mahnte Tesfaye auch an, dass sich die dänischen Schulen den großen Tech-Konzernen zu lange unterworfen hätten. Und, „man sei als Gesellschaft zu „verliebt“ gewesen in die Wunder der Digitalwelt“ – so berichtet die SZ. Man lese und staune.
Der Lehrer und Autor Heino Bosselmann schrieb in diesem Zusammenhang schon 2020: „Wir neigen dazu, Technik, zumal das Faszinosum der digitalen, nicht mehr nur als Werkzeug zu erkennen und rein praktisch zu nutzen, sondern sie zu fetischisieren. Sie wird verklärt und damit Kult. Apple hat das bis in die glatte Sterilästhetik seiner Geräte hinein exzellent „verkörpert“. Offenbar kennen nicht nur Künstler, sondern ebenso Ingenieure und Informatiker den Pygmalion-Effekt – ganz passenderweise, generieren sie doch in den Bann ziehende virtuelle (Ersatz-)Welten, in die man sich verliert, hingerissen und genarrt. Insbesondere Heranwachsende, mit den bekannten problematischen Folgen.“ Aber nicht nur die Heranwachsenden sind gefährdet, sondern auch offenbar die erwachsenen Lehrkräfte. Möglicherweise steckt hinter dem Digitalisierungswahn, abgesehen von den ökonomischen Interessen der IT-Konzerne und dem technologischen Faszinosum, aber auch eine politische Agenda mit totalitärem Geschmäckle. Denn Digitalisierung bedeutet auch bequeme und weitreichende Kontrolle, doch das auszuführen, führt hier zu weit.
Eines ist sicher: In den Zeiten, in denen endlich Handy-Verbote im schulischen Alltag nicht mehr stattfinden sollen, ist eine umfassende Ausstattung der Schülerschaft mit digitalen Endgeräten jedenfalls widersprüchlich und kontraproduktiv.