Buben, Mädchen – hat sich innerhalb von 14 Jahren alles geändert?

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Auch wenn es um die Leistungsfähigkeit und soziale Kompetenz von männlichen Schülern im Vergleich zu ihrem weiblichen Pendant geht? 2008 und 2009 war man jedenfalls in der Frage, ob Jungen in den Schulen benachteiligt werden, noch der einhelligen Meinung: ja, sie werden.

Ursache dafür ist unter anderem die pädagogische Arbeit in Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. Klaus Hurrelmann, Universität Bielefeld, meinte seinerzeit: „Durch die Art und Weise der Anregung und Betreuung, durch Gruppenarrangement und Sozialform des Unterrichts werden Jungen ganz offensichtlich nicht angemessen gefördert, teilweise sogar strukturell benachteiligt.“ Er regte an, „eine gezielte Jungenförderung in Kindertagestätten und Schulen einzuleiten.“

Heute müssten den Jungen die Möglichkeiten von emotionalen Beziehungen und Netzwerken, Kooperation und Bindung, Sensibilität und Kommunikation schmackhaft gemacht werden, damit das Schulsystem nicht haufenweise männliche Verlierer produziere. Weil Kitas und Grundschulen in weiblicher Hand sind, gäbe es das Problem überhaupt. Das ergab jedenfalls auch eine Studie des Aktionsrates Bildung. Der damalige Aktionsratsvorsitzende und Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, stellte fest, dass nicht mehr die Mädchen, sondern die Jungen „die Verlierer im deutschen Bildungssystem“ sind. Die Schule verstärke den Bildungs- und Leistungsrückstand der Jungen.

Ein Bericht des Bundesbildungsministeriums zeigte 2007, dass sich schon in der Grundschule Jungen einer weiblichen Übermacht an Lehrkräften gegenübersehen. Der Spiegel berichtete: „Der Hallenser Bildungsforscher Jürgen Budde kam in dem Bericht zu dem Schluss, dass Jungen in allen Fächern bei gleicher Kompetenz schlechtere Noten kriegen als ihre Mitschülerinnen. Selbst wenn sie die gleichen Noten haben wie Mädchen, empfehlen die Lehrer ihnen seltener das Gymnasium. Die einstige „Bildungsbenachteiligung des katholischen Arbeitermädchens vom Lande wurde durch neue Bildungsverlierer abgelöst: die Jungen“, sagte Lenzen.“ Da in keinem Bundesland der Anteil männlicher Erzieher in den Kindertagesstätten bei mehr als zehn Prozent liege, hätten Jungen oft gar nicht die Chance, eine ausgereifte Geschlechtsidentität zu bilden, da sie meist mit Erzieherinnen und Lehrerinnen konfrontiert seien.

Jetzt ist mit einem Male alles anders. Ob es an den Auswirkungen und Segnungen der Merkel-Regierung oder gar der Ampel-Koalition liegt? Margrit Stamm, emeritierte Schweizer Professorin für Erziehungswissenschaften: „Jungen allgemein als Bildungsverlierer zu bezeichnen ist zu pauschal“. „Sie sind nicht per se Verlierer im Bildungssystem, genauso wenig wie Mädchen einfach auf der Überholspur sind.“ Und Erziehungswissenschaftler Jürgen Budde, diesmal von der Universität Flensburg sekundiert: „Den Vorsprung haben sich die Mädchen schon in den neunziger Jahren erarbeitet, die Schere wird aber seit zwanzig Jahren nicht größer“, der „Abbau sozialer Ungleichheit ist eine viel größere Baustelle als der von Geschlechterdisparitäten.“ Dafür heißt es jetzt, dass die Behauptung, der Bildungserfolg von Jungen leide darunter, dass sie in Kita und Grundschule vor allem auf Erzieherinnen und Lehrerinnen treffen, zwar oft behauptet wird, aber wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden konnte. Alle Berichte, Studien und Analysen von vor 14 Jahren Makulatur? Nein, Bildungsforscher Budde sieht auch, dass „Klassisches weibliches Verhalten […] in der Schule positiver prämiert [wird] als klassisches männliches Verhalten.“ Ursula Kessels, Professor für Bildungsforschung an der FU Berlin, sieht in den Geschlechterstereotypen die Ursache für die Bildungsunterschiede von Jungen und Mädchen: „Die guten Noten der Schülerinnen werden vor allem als Ergebnis großer Anstrengung und harter Arbeit angesehen und weniger als Resultat hoher Fähigkeiten. […] Erhalten [Jungen] schlechte Noten, so liegt es gemäß Stereotyp nicht an ihren fehlenden Fähigkeiten, sondern an der fehlenden Anstrengung.“ Margit Stamm beobachtet schon in den Kitas starke Geschlechterstereotype: „Die Mädchen sitzen in der Puppen- und Lese-Ecke, Jungen in der Lego-Ecke. Mit Programmen im Teenageralter kann man die Stereotype nur noch schwer durchbrechen. […] Und im Krankenhaus liegen Jungen nach der Geburt in Hellblau, die Mädchen in Rosa. Eltern staffieren Mädchen als Prinzessinnen aus und Jungen als richtige Kerle.“ Was immer an dieser „Retraditionalisierung“ falsch sein soll: bei all den widersprüchlich wirkenden Forschungsergebnissen wäre es interessant, der Frage nachzugehen, wo sich in der Bildungsforschung ideologisch gewünschte Ergebnisse einstellen und wo nicht.