Berufliche Orientierung muss mit einer Aufwertung der beruflichen Ausbildung einher gehen

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Es war 2013, da wurde die Neukonzeption des Übergangs von der Schule in den Beruf vom Ausbildungsbündnis Baden-Württemberg verabschiedet. Auf der Homepage des Bündnisses heißt es: „Im Ausbildungsbündnis Baden-Württemberg haben sich das Land, die Kammern und Verbände der Wirtschaft, die Gewerkschaften, die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und die kommunalen Landesverbände zusammengeschlossen, um die berufliche Ausbildung zu stärken.“ Schon seit 2011 ist die Teilnahme an einem Orientierungsverfahren für alle Bewerberinnen und Bewerber um einen Studienplatz an einer Hochschule in Baden-Württemberg verbindlich vorgeschrieben. 2016 wurde im Rahmen des baden-württembergischen Bildungsplans die sogenannte Leitperspektive „Berufliche Orientierung“ eingeführt. Damit sollte ein kontinuierlicher Prozess der beruflichen Orientierung in allen Fächern, allen Klassenstufen und allen Schularten initiiert werden. Zentraler Anspruch war und ist, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Interessen und Potenziale erkennen und ihnen die Möglichkeit eröffnet wird, möglichst viele Realitäts- und Praxiserfahrungen in der Arbeits- und Berufswelt zu sammeln. So weit, so schön.

Man kann erkennen, dass die etablierte Bildungspolitik in der Tat Mißstände in den Übergangs- und Orientierungsphasen von der Schule in den Beruf, in die Weiterbildung oder ins Studium zur Kenntnis genommen hat. Erkennbar ist auch, dass ein wohl klingendes Initiativen-Potpourri über Jahre losgetreten wurde, um die Übergänge in den Beruf zu erleichtern. Jetzt haben Nicole Hoffmeister-Kraut, CDU-Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus, und die Grüne Kultusministerin Theresa Schopper auf dem Kongress zur Neugestaltung des Übergangs Schule-Beruf in Stuttgart am 27. Februar gemeinsam mit 800 Teilnehmern wieder einmal den Fokus auf die Berufliche Orientierung gerichtet. Es stellt sich bei dem medial wirksam inszenierten Treffen allerdings die Frage, ob denn überhaupt etwas bei dem ganzen Zirkus herauskommt. 2020 beispielsweise tönte die CDU-Ministerin: „Wir haben landesweit 9.000 unbesetzte Ausbildungsstellen. Es muss uns gelingen, dass noch mehr Jugendliche eine Ausbildung absolvieren.“ Heute – drei Jahre später – ist auf der Website des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg von der leitenden Ministerin zu lesen: „60.000 offene Ausbildungsstellen im Land sind 60.000 Chancen für den Einstieg in die eigene Karriere. Für unsere Betriebe ist es wichtig, diese zu besetzen, um den Fachkräftenachwuchs zu sichern und die Herausforderungen der Transformationsprozesse bewältigen zu können. Deshalb muss es uns gelingen, junge Menschen durch eine gute Berufliche Orientierung für eine Ausbildung zu begeistern und ihnen und ihren Eltern die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung zu verdeutlichen.“ 

Der Anstieg der offenen, nicht besetzten Ausbildungsstellen um 51.000 seit 2020 bis heute ist frappant. Mitnichten ist diese Lücke durch fehlende Orientierungslosigkeit der Schulabsolventen entstanden. Eine Ursache hierfür dürfte unter anderem im demografischen Wandel zu suchen sein, nachdem eine rot-grüne Politik im angeblichen Interesse der Frauen das Kinderkriegen für „nicht zeitgemäß“ und der weiblichen Selbstfindung als wenig zuträglich erklärte. Eine andere Ursache dürfte aber auch in einer Überakademisierung der Gesellschaft liegen. Jahrzehntelang wurde von politisch linker Seite dem Studium das Wort geredet, um Bildung und angeblichen gesellschaftlichen Aufstieg für alle zu ermöglichen. Die Folgen sind hinlänglich bekannt: Studentenschwemme an den Hochschulen, Nivellierung der Prüfungsstandards und ein wenig gefördertes Image der Handwerksberufe. Jetzt ist Feuer unterm Dach und auch die verantwortlichen Politiker bewegen sich öffentlichkeitswirksam in Scheinmanövern. Aber ob z. B. die 700.000 Euro jährlich aus dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport für berufliche Schulen und den neuen Bildungsgang AVdual reichen werden? Oder die drei Millionen Euro jährlich, mit denen das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau aktuell in den beteiligten Stadt- und Landkreisen das regionale Übergangsmanagement sowie AVdual-Begleiter fördert? Hier sind die Weichen ganz woanders zu stellen, wenn denn der Zug überhaupt noch aufgegleist werden kann…